Was Emotionen mit unseren Intuitionen zu tun haben

Typisch für Intuitionen ist, dass sie zunächst emotional neutral von Menschen wahrgenommen werden. Relativ schnell setzen dann Emotionen wie Angst oder Hoffnung als Folge der Intuition und der intuitiven Erkenntnis ein. Intuitionen zeichnen sich aus durch einen Zustand der Sicherheit, der weder euphorisch glücklich noch ängstlich bedrückend ist. Immer wird diese neutrale Sicherheit der Intuition aber sehr schnell von Gefühlen, Ängsten und Hoffnungen, Zweifeln und Wünschen überlagert. Deswegen ist es notwendig, zu verstehen, wie Emotionen in Menschen entstehen. Lisa Feldmann Barett, Professorin für Psychologie und „affective science“ gilt als eine der aktuell bedeutendsten Vertreterinnen für die Entstehung von Emotionen und ihre Wirkung auf unser Denken und auf unser Verhalten.  

Feldmann Barrett (2017) spricht von Drei Fiktionen wenn es um die Untersuchung und Wissenschaft unserer Emotionen und unseres Verhaltens geht: Gesichter, Körper und Gehirn. Bisher sei man davon ausgegangen, dass es hier mehr oder weniger universelle Kriterien und Zusammenhänge gäbe, wie sich Emotionen bei Menschen manifestieren und dass diese auch im Grunde bei allen Menschen gleich seien. Feldman Barrett stellt dagegen die These „Variation is the norm!“. Es gibt demnach also nicht nur nicht universelle und für alle Menschen gleiche Kriterien und Muster der Entstehung und Manifestation von Gefühlen, sondern es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten und Variationen, bei allen Menschen, in allen kulturellen Räumen.  

Wir erkennen Emotionen nicht an den Gesichtern anderer Menschen

Das bisherige Paradigma, Emotionen seien an Gesichtern und Gesichtsausdrücken abzulesen, stimme so nicht. Gesichtsausdrücke von Menschen können mit ganz verschiedenen Emotionen und (Hirn-)Tätigkeiten verbunden sein. Zugekniffene Augen beispielsweise können sowohl ein Zeichen für Freude oder genauso für Wut sein. Hinter einem Gesichtsausdruck, den wir als melancholisch und traurig einordnen, kann auch etwas ganz anderes stecken. Zum Beispiel eine Erinnerung an einen als schön empfundenen Moment oder sehnsüchtige Gedanken an einen geliebten Menschen, bei denen die Person nicht traurig ist, sondern Glücksgefühle erlebt. Die Zuordnungen von Gesichtsausdrücken zu angeblich ganz bestimmten Emotionen sind zudem nach Kulturen unterschiedlich. Was in einem Kulturkreis das eine bedeutet, kann in einem anderen Kulturkreis eine (völlig) andere Bedeutung haben. Es ist also die Bedeutung, die wir zu einem Gesichtsausdruck gelernt haben, die wir bewusst wahrnehmen und nicht die Emotion des Gegenübers. Welche Emotion „hinter“ einem Gesicht steckt, hängt von den Umständen und dem Kontext ab. Unser Hirn stellt Vermutungen an, welche Emotionen wohl in einem anderen Menschen gerade vorgehen mögen. Dies deckt sich auch mit den Ausführungen zu Interpretationen und „Halluzinationen“ von Seth und Hoffman. Diese Erkenntnis hat auch Relevanz für Künstliche Intelligenz in allen möglichen Anwendungsbereichen der Gesichtserkennung, von Marketing bis hin zur Verbrechensbekämpfung. Niemand kann Emotionen in anderen sicher detektieren. Maschinen können das auch nicht.  So wenig wie wir Menschen eindeutig Emotionen bei anderen Menschen anhand ihres Gesichtsausdrucks erkennen können, so wenig kann Künstliche Intelligenz das leisten. Unabhängig davon, wie viele Trainingsdaten und Vergleichsdaten zur Verfügung gestanden haben. Die Gesichtserkennung und „Emotionserkennung“ durch KI hängt letztlich immer davon ab, welches persönliche Vorurteil und welcher persönliche und kulturelle Bias hier die Grundlage der Annahmen für die Modelle bilden, die für solche KI basierten Dienste genutzt werden.  

Körperzustände können unterschiedliche Emotionen signalisieren

Das zweite laut Feldmann Barrett nicht zu haltende Paradigma lautet: Veränderungen des Körpers – äußerlich sichtbar am Körper oder nicht sichtbar im Körper – zeigen bestimmte Emotionen und Zustände an beziehungsweise deren Veränderungen. Doch der Körper weist jeweils verschiedene Charakteristika in gleichen emotionalen Zuständen auf und/oder der Körper tut dieselben Dinge bei verschiedenen emotionalen Zuständen. Ein körperliches Signal ist nicht zwangsläufig mit einer bestimmten Emotion oder einem bestimmten Zustand verbunden. Unser Gehirn ordnet das körperliche Signal einer Emotion oder einem Zustand zu, je nachdem wie unser Wissenstand und unsere angelegten Interpretationsmuster sind. Das bedeutet: Das Gehirn interpretiert Körpersignale und „macht“ Emotionen daraus. Das Gehirn hat die evolutionäre Aufgabe, den menschlichen Körper zu steuern, um die eigenen Gene weiterzugeben. Das Gehirn lenkt darum unsere Aufmerksamkeit auf die äußere Welt und lässt uns unsere inneren, physischen und biologischen Prozesse und Bedürfnisse (normalerweise) nur sehr gedämpft und verborgen wahrnehmen. Das Resultat davon sind „Stimmungen“. Wir nehmen die Welt also nicht wahr, wie sie ist, sondern wie wir sie durch unsere Stimmungen gefärbt erleben und interpretieren. Hierin lässt sich wiederum ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Intuition erkennen. Stimmungen und Emotionen wechseln und verändern sich, kurzfristig und auch langfristig. Intuitives Wissen dagegen bleibt immer gleich und wird von diesen Stimmungen und Emotionen überlagert. Das führt zu Zweifeln, Fragen und Unsicherheiten.  

Im Gehirn haben unterschiedliche Emotionen den gleichen Ort

Feldman Barrett stellt auch das dritte Paradigma in Frage, nach dem es klare Muster und Schaltkreise oder Regionen im Gehirn für Emotionen gäbe, die von äußeren Reizen getriggert werden. Doch ein und dieselben Hirnregionen werden bei verschiedenen Emotionen und Eindrücken aktiv. Auch hier gibt es keine eindeutige Verortung und Zuordnung, sondern Variation ist die Norm. Das Gehirn könne zudem in den Hirnregionen zudem unterschiedliche Aktivitäten aufweisen und dabei dieselben Emotionen im Menschen erzeugen. Das menschliche Gehirn ist für Feldman Barrett darum nicht ein Ort des Kampfes zwischen Denken und Fühlen, des Widerstreits von Ratio gegen Emotio. Die Idee von zwei Systemen von Kahnemann sei eine von vielen missverstandene „Metapher“, keine Beschreibung von zwei getrennten oder gar konfligierenden Systemen in Hirn und Körper. 

Jeder ist Architekt der eigenen Erfahrungen

Das menschliche Hirn fragt demnach immer: Wozu, das ich kenne, ist das ähnlich? Es bildet dann Kategorien und aggregierte Konzepte und ordnet dann Wahrnehmungen den gespeicherten Erinnerungen und Informationen zu. Emotionen sind uns Menschen nicht angeboren. Unser Hirn entwickelt sie abhängig von Situationen und Erfahrungen. Das Gehirn hat zunächst eine „experiencial blindness“, die sehr schnell durch wenige Informationen aufgelöst und zu Erkenntnis werden kann. Wenn die Vorlage für den Vergleich bekannt ist oder bekannt gemacht wird. Informationslücken werden vom Gehirn gefüllt, um eine Interpretation und Erfahrung zu kreieren. Auch das bestätigt die vorherigen Ausführungen dazu von Seth, Hoffman und anderen. Dasselbe gilt auch für Emotionen, die mit bestimmten Wahrnehmungen verbunden sind. Die „Inputs“ der den Menschen umgebenden Welt und des eigenen Körpers werden im Hirn schnell verarbeitet und zugeordnet. Es entsteht ein Konzept und somit ein „Sinn“ und eine Erkenntnis, die dabei immer abhängig vom aktuellen Kontext des aktuellen Erlebnisses ist und vom gespeicherten Kontext im Gehirn. Jeder ist nach Feldman Barrett darum der Architekt seiner eigenen Erfahrungen.

Es gibt laut Feldman Barrett sogenannte Micro- und Macro-Predictions, die für uns und in uns automatisch und unangestrengt erfolgen. Micro Predictions beziehen sich dabei auf unsere Umwelt und unseren Körper. Macro Predictions beziehen sich auf zwischenmenschliche Interaktionen und unser strategisches Verhalten. Unsere Stimmungen und Affekte bestimmen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und sehen. Denn unsere Stimmung beeinflusst unser Gehirn in seinen Voraussagen über unsere Umwelt und unsere Interaktionen. Konzepte werden von unserem Hirn etabliert, gleichzeitig sind sie kulturell akzeptiert und geteilt. Denn Worte als Bezeichnungen benennen diese Konzepte. Konzepte sind Voraussagen basierend auf der Frage: Wem oder was gleicht das? Emotionen formen Konzepte, Konzepte formen Vorhersagen, diese Vorhersagen versehen unsere Umwelt mit einer Bedeutung für uns. Diese Bedeutung können wir nur zum Teil in Worte fassen, es gibt viel mehr Konzepte als Worte in unserem Gehirn.

Wichtig ist hier wiederum: Intuition ist für Menschen schwer oder gar nicht in Worte zu fassen, sie ist also nicht den etablierten und akzeptierten Konzepten so ohne weiteres zuzuordnen. Das liegt daran, dass Intuition auf einer tieferen, nicht sprachlichen und nicht konzeptionellen Ebene funktioniert.