Warum nachhaltige Entscheidungen nur mit Intuition funktionieren

Aufbauend auf den Beschreibungen und Analysen in anderen Beiträgen auf TheEssence lassen sich klare Kriterien definieren, wie und warum gerade die menschliche Intuition als Kompetenz zu nachhaltigen Entscheidungen führen kann – und das besser und umfassender, als es KI-Modelle können. Voraussetzung dafür ist es, dass Menschen ihre eigene Intuition in und für Entscheidungen auch bewusst erkennen und einsetzen können und eben nicht von Ängsten oder Wunschträumen verzerrt entscheiden. Deswegen lässt sich die These aufstellen, dass Intuition als Kompetenz ein entscheidender Beitrag für Nachhaltigkeit in Entscheidungen und Strategien ist und das sowohl im persönlichen Maßstab, wie auch im größeren Maßstab von Organisationen und Unternehmen. 

Kriterien für Nachhaltigkeit mit Intuition

Die angesprochenen Kriterien sind dabei als folgende Thesen formuliert:   

    • Langfristigkeit
      Menschliche Intuition ist besonders gut, wenn es darum geht, langfristige Entscheidungen zu treffen und langfristige Folgen abzuschätzen. Es geht nicht um die kurz- oder mittelfristige Optimierung von Details oder Spezialproblemen, sondern um die Schaffung von Umständen, die eine langfristige positive Entwicklung versprechen. Immer natürlich orientiert und bezogen auf die persönlichen vorangegangenen Erfahrungen und als heuristische Abschätzung. Insofern können intuitive Entscheidungen oder Einschätzungen einer Person nicht direkt auf Organisationen übertragen werden. Doch sie geben eine verlässliche Indikation für die Richtung der Nachhaltigkeit. 
    • Komplexität
      Fragen und Herausforderungen der Nachhaltigkeit sind immer komplex. Das lässt sich sehr anschaulich an den bekannten Scope1, Scope2 und Scope3 Berechnungen und Perspektiven der Nachhaltigkeitsmessung beobachten. Je größer der Scope gewählt wird, desto schwieriger, weil komplexer wird die Definition, die Konturen verschwimmen zusehends und eindeutige, zahlenbasierte Zuordnungen werden immer schwieriger oder sogar unmöglich. Das liegt an der Komplexität der vernetzten und verwobenen Wirtschaft und Produktion, als auch an den komplexen Mechanismen und Wirkungszusammenhängen in der Natur, die für die Beurteilung von Nachhaltigkeit immer zwangsläufig beschrieben und einbezogen werden müssen. In den vorangegangenen Ausführungen ist dargestellt worden, dass und warum gerade die menschliche Intuition sehr gut geeignet ist, komplexe Szenarien zu erfassen, einzuordnen und zumindest soweit zu verstehen, dass Entscheidungen möglich sind, ohne überfordert zu werden und zudem auch in angemessener Zeit zu entscheiden.     
    • Zusammenhänge
      In Verbindung mit Komplexität haben natürlich auch Zusammenhänge eine besondere Bedeutung für Fragen und Herausforderungen der Nachhaltigkeit. Solche Zusammenhänge erstrecken sich nicht selten über eine Vielzahl an Stufen, Verbindungen und Rückkoppellungen. Es gibt also nicht selten Zusammenhänge, die in mathematischen Modellen oder KI-Modellen gar nicht abgebildet werden können oder die in der Analyse gar nicht erkannt werden, weil es keine mathematischen und statistischen Korrelationen oder Muster signifikanten Ausmaßes gibt. Oft sind diese Zusammenhänge auch gar nicht logisch begründbar, sondern resultieren aus evolutionären Mechanismen oder basieren auf irrationalen und unlogischen Entscheidungen von Menschen, Gruppen oder Organisationen. Trotzdem sind diese Zusammenhänge relevant, vielleicht sogar bestimmend für Fragen der Nachhaltigkeit. Menschliche Intuition hilft dabei, solche Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Vorausgesetzt natürlich, sie ist als Kompetenz ausgeprägt und trainiert. 
    • Kreisläufe
      Ein Wesenselement der Nachhaltigkeit ist der Kreislauf von Dingen. Dieses natürliche Prinzip begegnet uns auf den kleinsten Ebenen des Lebens bis hin zum Universum selbst. Ohne ein Verständnis von und ein Gefühl für Kreisläufe, kann keine Nachhaltigkeit verstanden und beurteilt werden. Intuition ist selbst ein Prozess-Kreislauf im menschlichen Lernen und im unbewussten Denken. Zudem ist die Intuition eine archaische Fähigkeit, die sich an universellen natürlichen Prinzipien orientiert beziehungsweise aus diesen entstanden ist. Deswegen können Menschen über ihre Intuition sehr gut ein – zunächst unbewusstes – Verständnis für Kreisläufe entwickeln und nutzen.   
    • Körperliche Fühligkeit und Wahrnehmung
      Die vielen einzelnen Wahrnehmungen des menschlichen Körpers werden, wie zuvor beschrieben, zum allergrößten Teil unbewusst aufgenommen und verarbeitet. Die Körperlichkeit und alle damit verbundenen Wahrnehmungen und Verknüpfungen unterscheiden den Menschen als Informationen verarbeitendes biologisches System von Maschinen und KI-Modellen. Somit kann bei Menschen ein umfassendes und vielschichtiges Verständnis von Nachhaltigkeit entstehen, dass für Maschinen und Modelle nicht erreichbar oder nachbildbar ist. Menschen fühlen Veränderungen und Entwicklungen in ihrer natürlichen Umwelt über eine Vielzahl an Körperwahrnehmungen und können damit ein eigenes Verständnis für förderliche wie auch gefährliche oder schädliche Situationen entwickeln. Diese Informationen und Erlebnisse werden für die Intuition zugänglich im menschlichen Gehirn wie auch im gesamten Körpersystem abgespeichert. Hierauf sind mehrere vorige Kapitel in diesem Buch bereits eingegangen. Die körperliche Fähigkeit des Menschen zur Wahrnehmung, zum Lernen und zum Speichern und Erinnern kann Menschen dazu befähigen, die Nachhaltigkeit von Situationen und Entscheidungen deutlich umfassender und besser abzuschätzen, als es mathematisch-statistische Systeme leisten können. 
    • Empathie und Verständnis
      Sehr ähnliches gilt auch für das Verständnis und die nonverbale und unbewusste Kommunikation zwischen Menschen und zwischen Menschen und anderen Lebewesen. Empathie ist eine Fähigkeit, die ebenfalls den Menschen von Maschinen und KI-Systemen unterscheidet. Diese Technologien können sich nicht in andere Lebewesen hineinversetzen und deren Sichtweisen und Einstellungen zumindest grundsätzlich nachempfinden. Diese Fähigkeit ist jedoch notwendig, wenn es um Aspekte vor allem der sozialen und der ökologischen Nachhaltigkeit geht. Schließlich sind hier immer Mitmenschen und andere Lebewesen in der Umwelt involviert und betroffen. Gleichzeitig ist zuvor beschrieben worden, dass Empathie eine wichtige Basis für menschliche Intuition darstellt.     
    • Flexibilität und Veränderlichkeit
      Das Denken von Menschen, die Ansichten und Überzeugungen, selbst die Beschaffenheit und die Strukturen des menschlichen Gehirns sind flexibel und veränderlich. Diese Charakteristika lassen sich für Maschinen und Systeme in dem Maße nicht bestätigen. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, so sind Flexibilität und Veränderbarkeit ebenfalls typisch und wesensinhärent. Nur Systeme, die sich anpassen und grundsätzlich flexibel sind, sind auch robust, resilient und nachhaltig. Deshalb ist die menschliche Intuition ebenfalls besser geeignet Fragestellungen und Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu begreifen und zu beantworten, als technische Systeme und Lösungen. 
    • Innovativ und Kreativ
      Nachhaltigkeit bedeutet nicht die unbedingte Bewahrung des Status Quo. Vielmehr geht es darum, stets neue Wege und Möglichkeiten zu finden, sich veränderten Umständen anzupassen und Herausforderungen verschiedenster Art besser zu meistern, als bisher. Kreativität ist hierfür ebenfalls gefragt als eine unabdingbare Kompetenz. Beides – Innovativität und Kreativität – sind menschliche Domänen, die zum größten Teil nicht dem rationalen und in Sprache gefassten Denken entspringen, sondern die sich auf intuitives Wissen und intuitives Erkennen stützen. Wollen Menschen, Organisationen und Gesellschaften nachhaltig entscheiden und nachhaltig handeln und agieren, dann müssen sie zugleich innovativ und kreativ sein. Genau dafür bedarf es nun eines offenen und positiven Umgangs mit und Verständnisses der menschlichen Intuition. Auch das können Maschinen und KI-Systeme nicht leisten. Deswegen ist hier die menschliche Kompetenz zur Intuition und ihre Anerkennung und ihr bewusster Einsatz so entscheidend und unabdingbar. 

Robuste statt optimale Entscheidungsstrategien

Die genannten Punkte untermauern die zuvor beschriebenen Zusammenhänge von Nachhaltigkeit und menschlicher Intuition und benennen klar, in welchen Bereichen technische und auch KI-gestützte Lösungen keine wirklich nachhaltigen Effekte zeitigen können. Es bestätigt zudem Erkenntnisse der Intuitionsforschung. Wir brauchen keine Entscheidungsstrategien, die rechnerisch optimal sind. Wir brauchen Entscheidungsstrategien, die robust sind. (Gigerenzer 2018) Lösungen müssen hinreichend einfach sein. Denn dadurch erzeugt man Robustheit. Und die ist in volatilen und agilen Welten entscheidend. (Kahnemann 2011) Es bedeutet aber auch: Intuitionen sind Entscheidungen, zu denen man selbst stehen muss. Man kann sie nicht weg delegieren. Diese Kompetenz ist eine Frage der Persönlichkeit und der persönlichen Robustheit. Wir können sie bewusst formen, fördern und immer weiterentwickeln. Warum das für ein erfolgreiches Management und Führung notwendig ist und wie das Training dieser Kompetenz gestaltet sein sollte, wird n anderen Beiträgen auf TheEssence beschrieben.