Ähnlichkeiten und Unterschiede von Künstlicher Intelligenz und Intuition

Mit den Beschreibungen und Ausführungen in verschiedenen Beiträgen auf TheEssence sind die Ähnlichkeiten zwischen Künstlicher Intelligenz und menschlicher Intuition klar erkennbar. Das ist auch nicht übermäßig verwunderlich. Denn schließlich haben sich die Begründer der Disziplin am menschlichen Gehirn, oder besser beziehungsweise genauer, an Teilen und bestimmten Funktionsweisen des Gehirns orientiert. Nicht umsonst reden und schreiben wir von Neuronalen Netzen und Neuronen beim Machine Learning. Doch es gibt auch gewichtige Unterschiede. Gemeinsamkeiten und Unterschiede sollen hier noch einmal kurz und übersichtlich zusammengefasst werden.

Optimal ist nicht gleich resilient

Neuronale Netze und Machine Learning basieren auf dem Versuch, das menschliche Hirn oder bestimmte Funktionen davon nachzubilden. Das gelingt in vielen Bereichen auch gut, in manchen sogar besser, als beim natürlichen Original. Immer dort nämlich, wo neuronale Netze auf eine bestimmte Optimierungsaufgabe mit sehr vielen Daten trainiert worden sind. KI kann besonders gut Muster und Korrelationen erkennen. Genau so funktioniert im Prinzip auch die menschliche Intuition. Erlebnisse, Situationen und Zustände werden mit angelegten Mustern verglichen und zugeordnet. Aus diesen Zuordnungen resultieren Voraussagen, was am besten getan oder wie sich verhalten werden sollte. Ebenso machen KI-Systeme Voraussagen basierend auf erkannten Mustern. Bei KI-Systemen orientieren sich diese Voraussagen stets an rechnerischen Optimalzuständen, die erreicht werden sollen. Das liegt an der Struktur von KI-Systemen und Modellen, die in sich selbst stets nach rechnerischen Optimalzuständen suchen beziehungsweise diese lernen, um die ihnen gestellte Aufgabe zu erfüllen. Das wurde im Kapitel zu den unterschiedlichen KI-Methoden ausführlich dargestellt. Bei den Voraussagen der menschlichen Intuition stehen jedoch nicht rechnerische Optimalzustände im Vordergrund, sondern eine einfache und resiliente Lösung für das aktuelle Problem, basierend auf den individuellen Erfahrungen der eigenen Persönlichkeit. Intuitive Lösungen sind nicht statistisch und mathematisch optimal oder vollkommen, sondern sie sind einfach, robust und resilient – und damit nachhaltig. Diese entscheidenden Fertigkeiten und Fähigkeiten fehlen also KI-Systemen. Darum müssen solche Aufgaben und Entscheidungen vom Menschen selbst geleistet werden. Dafür muss der Mensch diese Fertigkeiten und Kompetenzen aber bewusst einsetzen und trainieren. Hier gibt es wiederum eine prinzipielle Gemeinsamkeit mit Künstlicher Intelligenz. Denn ein neuronales Netz beispielsweise muss auch trainiert. Und es gibt hier gleichzeitig einen Unterschied: Ein KI-Modell wie beispielsweise mit einem neuronalen Netz ist auf eine Aufgabe ausgelegt und wird mit der Menge der Informationen immer besser in der Leistungsfähigkeit in Bezug auf diese eine spezielle Aufgabe. Menschen dagegen sind mit einer zunehmenden Informationsflut überfordert, dafür ist unsere Erkenntnisleistung aber nicht auf eine Aufgabe beschränkt, sondern wir lernen flexibel und agil. Unser Gehirn verändert sich mit dem, was wir denken und dem was wir erleben; ein neuronales Netz und ein KI-Modell kann sich nicht strukturell anpassen und sich verändern, indem es beispielsweise aus sich selbst heraus etwa die Anzahl der Layer, die Abfolge der Layer oder die Verknüpfungen zwischen den Layern verändern könnte oder Fertigkeiten und Aufgaben von einer Stelle im Netz auf eine andere verlagern könnte. KI Modelle und neuronale Netze haben keine Plastizität.  

Kreativität und Innovation

Weitere Unterschiede gibt es hier im Zusammenhang mit Kreativität. Künstliche Intelligenz funktioniert nach der Theorie der Rationalität: Abwägen von Alternativen, Wahrscheinlichkeiten und Nutzen. Menschen entscheiden unter Unsicherheit weitgehend anders als Künstliche Intelligenz. Wir entscheiden selektiv und wir entscheiden intuitiv. Doch im Grunde nutzen wir auch hier dasselbe Prinzip. Nur nicht durch numerische Berechnung, sondern durch gesammelte Erfahrung auf Basis von Emotionen. Kreativität und Innovation gehen deshalb nur über Intuition. Der größte Teil der menschlichen Intelligenz ist unbewusst und nicht in Sprache gefasst – also „archaisch“.  Kreative Ideen entstehen, wenn wir nicht bewusst darüber nachdenken. Kreativität und innovatives Verstehen entsteht durch andere Perspektiven und ungewohnte Umfelder. Das kann KI nicht leisten. Denn ein KI-Modell kann nicht unterschiedliche Perspektiven zu einer Sache oder Situation einnehmen, schon gar nicht aus eigenem Antrieb oder gar eigenem „Willen“. Weil Künstliche Intelligenz keinen Willen hat. Und Künstliche Intelligenz kann sich auch nicht durch unterschiedliche Umfelder und ungewohnte Umfelder beeinflussen oder inspirieren lassen. Denn dafür fehlt KI-Systemen die menschliche oder biologische Körperlichkeit und damit die vielschichtige Wahrnehmung der Umwelt, die Menschen bewusst und zum allergrößten Teil unbewusst wahrnehmen und verarbeiten und sich dadurch inspirieren lassen können. 

Stabile und volatile Umfelder

Künstliche Intelligenz kann ihr Potenzial des Optimierens und Vergleichens am besten in stabilen Umfeldern entfalten. Deswegen sind in solchen Branchen und Umfeldern intuitive Entscheidungen nur sehr schlecht akzeptiert und das Technikvertrauen ist sehr hoch (worauf im folgenden Kapitel eingegangen werden wird). In unsicheren und volatilen Umfeldern sind intuitive Entscheidungen dagegen eher akzeptiert und das Technikvertrauen hat klare Grenzen. Entscheidungen über Intuition, mit der archaischen Intelligenz, gehen einfacher und schneller in unsicheren Situationen. Vor allem wenn es wenige (emotionale) klare Entscheidungskriterien in der Vielzahl der möglichen Kriterien gibt. „Hicks Law“ postuliert eben das: Wenige wichtige Kriterien = richtige Entscheidungen in angemessener Zeit. (Hicks 1952) Für Entscheidungen und für Führung heißt das: „Es ist wichtig zu wissen, wann es sich lohnt nachzudenken - und wann besser nicht.“ (Gigerenzer 2007)