Intuition lässt sich trainieren – mit den richtigen Umständen

In „Educating Intuition“ analysiert Hogarth (2010) die Intuition und das Lernen, indem er zunächst einen umfassenden Überblick darüber gibt, was die Wissenschaft uns über Intuition sagen kann, woher sie kommt, wie sie funktioniert und ob wir ihr vertrauen können. Auf der Grundlage dieser Literatur und seiner eigenen Forschung kommt Hogarth zu dem Schluss, dass Intuition eine normale und wichtige Komponente des Denkens ist, die ihre Wurzeln in Prozessen des sogenannten stillschweigenden oder unbewussten Lernens (tacit learning) hat. Umwelt, Aufmerksamkeit, Erfahrung, Fachwissen und der Erfolg der wissenschaftlichen Methode sind Teil von Hogarths Sichtweise der Intuition, die ihn zu der Schlussfolgerung führt, dass wir unsere Intuition schulen können. Zu diesem Zweck bietet er konkrete Vorschläge und Übungen an, die den Lesern helfen, ihre intuitiven Fähigkeiten und Gewohnheiten zu entwickeln, um die "richtigen" Lektionen aus Erfahrungen zu lernen. Hogarth (2003) betont dabei die Bedeutung von Feedback für den Lernprozess. Menschen sollten stets eine möglichst schnelle Rückmeldung zu ihrer Intuition und ihren intuitiven Entscheidungen bekommen, um ihre Intuition möglichst gut zu erkennen und zu schulen. 

Guidelines für das Training der Intuition

Dafür beschreibt er verschiedene „Guidelines“:

    • Die jeweilige Umgebung auswählen – Je nachdem, auf und in welchem Feld sich Menschen bewegen und Erfahrungen und Wissen sammeln, können sie genau dort und dafür ihre Intuition als Kompetenz ausbilden und trainieren. Das gilt für fachliche und berufliche Umgebungen, die Menschen mit denen wir uns umgeben und austauschen und auch für die physischen Umgebungen, in denen wir uns und Situationen erleben. Eine natürliche Umgebung fördert demnach das körperliche Erleben und Bewusstsein, mehr als eine unnatürliche. Deswegen vertritt dieses Buch auch die These, dass Intuition nur in der Natur wirklich gelernt und ausgebildet werden kann.    
    • Feedback suchen – Die Rückmeldung über die eigene Intuition hilft und fördert das Erlernen und Nutzen der eigenen Intuition. Je schneller und direkter diese Rückmeldung erfolgt, desto höher ist der Lernerfolg und Lerneffekt. Hier gibt es Parallelen zum Lernen und Trainieren anderer Fähigkeiten und Kompetenzen wie beispielsweise Fremdsprachen, Sportarten oder Musik. Auch hier lernen Menschen durch ein schnelles Feedback, ob ihre Handlung und ihre Entscheidungen gut oder schlecht waren – im Sinne von „funktioniert“ oder „funktioniert nicht“. Dies untermauert zudem die hier vertretene These, dass ein Training der eigenen Intuition in der Natur sinnvoll und effektiv ist, da hier Menschen ebenfalls schnell, direkt und „gnadenlos“ ein Feedback über die Funktionalität oder eben Dysfunktionalität ihrer intuitiven Entscheidungen und Handlungen bekommen.    
    • Impuls Brecher nutzen – Menschen sollten beim Training der eigenen Intuition darauf achten, nicht sofort emotionalen Impulsen zu folgen, sondern diese zu erkennen, einzuordnen und stattdessen bewusst auf das sozusagen leisere intuitive Wissen zu hören
    • Emotionen anerkennen – Für Hogarth sind Emotionen Daten, die den Menschen Aufschluss geben können, was gerade in ihnen und um sie herum passiert. Hier bezieht sich Hogarth auf körperliche Signale in Form von Gefühlen, wie beispielsweise Unwohlsein, Frieren oder eine Gänsehaut, die uns zeigen, wie unser Unbewusstes über den Körper und sein Verhalten bestimmte Situationen einordnet. Über diesen Aspekt der Körperlichkeit in Zusammenhang mit der Intuition haben wir auch in diesem Buch schon an mehreren Stellen gelesen. 
    • Offenheit für Verbindungen haben – Das Unbewusste und die Intuition ist besonders gut darin, komplexe Zusammenhänge und Ähnlichkeiten oder Muster zu erkennen. Menschen müssen also offen sein, für eben diese Erkenntnisse. Das geht am besten in einem Zustand der Entspannung und Ruhe, in dem das rationale Denken in den Hintergrund tritt und Eindrücke und Informationen nicht sofort bestimmten Kategorien zuordnet. Auch diesen Aspekt haben wir bereits in Zusammenhang mit verschiedenen Bewusstseinszuständen, Hirnwellen und Wahrnehmung in den vorigen Kapiteln behandelt und beschrieben.
    • Abwägungen und Konflikte akzeptieren – Hogarth spricht hier von „trade-offs“, die Menschen normalerweise umgehen wollen, weil sie unangenehm sind und Entscheidungen unter Unsicherheit und Unkenntnis aller Umstände erfordern. Intuition ist der Weg, diese „trade offs“ zu handhaben, da Intuition nicht abwägt, sondern einen Zustand der Zufriedenheit (satisfactory) anstrebt und dem Menschen damit sagt, was gut für ihn oder sie ist, ohne auf abwägende Argumente zu warten oder zu achten.
    • Wissenschaftliche Grundsätze anwenden – Menschen sollten beim Training ihrer Intuition wissenschaftlichen Grundregeln folgen. Das bedeutet, die eigenen Erfahrungen mit der eigenen Intuition und das Feedback zu reflektieren, kritisch zu hinterfragen, gegen zu testen und zu analysieren. Damit könne Intuition zu einem verlässlichen Werkzeug der Problemlösung entwickelt werden. Auch in diesem Buch haben wir an verschiedenen Stellen den Hinweis gelesen, dass die eigene Intuition mit dem rationalen und kritischen Geist abgewogen und abgeglichen werden sollte.   

Wahrnehmungen, Reflektion und Körperlichkeit

Meta-Kognition und Selbstreflektion, der Zugang zum Unbewussten und die Beeinflussung des Unbewussten und auch die eigenen Grundeinstellungen oder das eigene Growth-Mindset sind notwendige Voraussetzung und später Unterstützung für das Training der eigenen Intuition. Intuition trainieren, bedeutet die eigene Wahrnehmung zu trainieren und zu verfeinern. Es geht um subtilere Wahrnehmungen über äußere Reize und Sinnesorgane und ebenfalls über innere Reize und Sinnesorgane. Das gleicht dem Verständnis von sogenannten Naturvölkern und dem in einem früheren Kapitel dieses Buches beschriebenen Verständnis historischer Zivilisationen, dass alles verbunden und alles in einer gemeinsamen Bewegung ist. Dieses Verständnis eröffnet den Zugang zur Intuition. Das rein rationale Verständnis von angeblich objektiven Kriterien und Zugehörigkeiten macht diese Intuition nicht möglich. Die Natur und die eigene Körperlichkeit vielfältig und vielschichtig zu spüren und zu verstehen bedeutet, die eigene Intuition zu verstehen. Technologie und technische Systeme müssen immer solche klaren, rationalen Kriterien aufweisen und sie schaffen diese auch selbst. Deswegen kann Technologie nie selbst kreativ werden und kann diese Domäne des Menschen nie besetzen. Kreative Menschen haben und brauchen immer eine Vision. Diese Vision ist die Sichtweise in die größere Welt, also ein Gespür für Zusammenhänge und Richtung. Menschen können distanziert betrachten und gleichzeitig eine Verbundenheit fühlen. Daraus entsteht ein Staunen und damit Kreativität, Innovation, Mut und Sicherheit. Intuition mit Wissen und rationaler Reflektion kombiniert, ist das mächtigste Werkzeug für Veränderung, Innovation und Kreativität.