Denken und Fühlen gehören zusammen – und bilden eine Führungskompetenz

Das sogenannte Maschinenzeitalter und die Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert haben die Rationalisierung von Menschen, Organisationen und Gesellschaften vorangetrieben. Menschen galten und gelten – und fühlen sich auch oft so – als Teil von Maschinen oder Maschinerien. Das berühmte „Rädchen im System“. Typisch für diesen Entwicklungsprozess von Wirtschaft und Gesellschaft ist die Tatsache, dass Denken und Fühlen getrennt wurden und weiterhin auch getrennt verstanden werden. Dieses Prinzip hat auch über Generationen gut funktioniert, indem es Fortschritt, Produktivität und Wohlstand mit sich brachte. Gleichzeitig aber auch Umweltverschmutzung, Klimawandel und Artensterben. Doch zumindest in postmateriellen Wohlstandsgesellschaften hat sich mittlerweile die Erkenntnis und das „Gefühl“ breit gemacht, dass es so nicht weitergehen kann und soll. Intuitiv scheinen Menschen zu erkennen und zu realisieren, dass der nachhaltige und resiliente Weg anders aussehen muss. Das aktuelle Lernsystem und Arbeitssystem in industriellen und postindustriellen Gesellschaften orientieren sich (immer noch) an maschinellen und organisatorischen Notwendigkeiten, um zu funktionieren. Kreativität, Phantasie und Innovativität entstehen nicht aus diesen Systemen oder Strukturen; sondern vielmehr trotz dieser Strukturen.

Die Frage der Verantwortung

Führung von Organisationen, Strukturen und Menschen bedeutet, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. In den vorigen Kapiteln haben wir bereits an mehreren Stellen und in verschiedenen Zusammenhängen erörtert, dass und wie KI-Systeme hier Aufgaben des Managements übernehmen. Künstliche Intelligenz errechnet optimale Szenarien und leitet daraus Empfehlungen oder Vorgaben ab, welche Entscheidungen getroffen werden sollten, um bestimmte definierte Ziele zu erreichen. Hier ist es für Menschen zunehmend schwierig, von diesen Empfehlungen oder Vorgaben abweichende Entscheidungen zu treffen oder Ansichten zu vertreten, weil diese in fast allen Fällen nicht so umfassend und nicht quantitativ belegt werden können, wie die Rechenmodelle und Ergebnisse von autonomen Systemen. Gleichzeitig kann diese Situation auch „verlockend“ sein, es sich einfach und bequem zu machen und die Verantwortung von sich weg zu delegieren und an „intelligente“ Maschinen zu übertragen, die angeblich perfekt und praktisch unfehlbar sind. Doch dieses Szenario hat klare Grenzen. Menschen müssen immer die Verantwortung für das eigene Leben und für Veränderungen übernehmen. Das gilt im beruflichen Umfeld genauso, wie bei privaten Entscheidungen. In stabilen Umfeldern mögen KI basierte Empfehlungen und Optimierungen als Entscheidungsgrundlage gute Dienste leisten. Sobald Unsicherheiten und Nicht-Wissen aber die Situationen kennzeichnen, ist das nicht mehr so. Mehr noch gilt das bei Innovationen und Veränderungen. Echte Veränderungen kommen nicht von außen, sondern immer von innen. Entscheiden unter Unsicherheit und bei Veränderungen sollte deswegen als Kompetenz geübt werden. Das stört natürlich wiederum optimierte Abläufe und Szenarioberechnungen. Doch solche Störungen ermöglichen erst Neuerungen und schaffen mittelfristig neue Harmonien und neue Möglichkeiten. 

Die Relevanz von Intuitionen

Verschiedene Studien der vergangenen Jahre kommen zu dem klaren Schluss, dass Intuition hoch relevant für PraktikerInnen ist und daher trainiert werden sollte. (u.a. Sadler-Smith 2016; Lieberman 2000; Moors, de Houwer 2006; Plessner, Czenna 2008; Salas et al. 2010; April, Dharani 2020) Es geht dabei darum, auf die unterschiedlichen Arten zu achten, wie Intuition empfunden werden kann. Diese Empfindungen und Manifestationen können kognitiv und körperlich sein. Diese Möglichkeiten der intuitiven Wahrnehmung(en) sind bereits dargestellt worden. Es geht zudem darum, wie diese Empfindungen und intuitiven Einsichten dann genutzt werden können. Wichtig ist dabei, stets zu bedenken: Intuition basiert immer auf eigenen Vorerfahrungen, sie ist subjektiv und ein Teil der Persönlichkeit. Intuition sollte immer gehört werden. Zusammen mit einer bewussten rationalen Überprüfung muss sie dann auch in Handlungen umgesetzt werden.

Die Akzeptanz von Intuition

Das ist einfacher postuliert, als gelebt. Denn kulturell, gesellschaftlich und in Organisationen steht es um die Akzeptanz der Intuition eher schlecht. Das liegt an der unterschiedlichen Markierung von rationalem und bewusstem Denken auf der einen Seite und dem unbewussten und intuitivem Denken und Verstehen auf der anderen Seite. Doch diese Separierung ist nicht gerechtfertigt. Im Gegenteil: Verschiedene Theorien und Versuche, die in den vorigen Kapiteln angeführt und beschrieben worden sind, belegen die Möglichkeit, dass es ein Kontinuum zwischen Intuition und bewusstem Nachdenken gibt. Die gewohnte dualistische Unterscheidung zwischen den beiden Denksystemen hat vor allem mit der Selbstwahrnehmung zu tun. Glauben wir, eine Entscheidung auf Grund eines Gefühls getroffen zu haben, bezeichnen wir es als Intuition. Spüren wir, dass wir etwas kognitiv durchdrungen haben, nennen wir es Nachdenken. Dabei können in beiden Fällen die zugrunde liegenden Verrechnungen im Gehirn ganz ähnlich verlaufen sein. (Mega, Volz 2016)