Die junge Generation verliert den Halt – und die Verbindung zur Realität

Der World Mental Health Report zeichnet ein düsteres Bild der Auswirkungen von Digitalisierung und KI vor allem auf die Jüngere Generation. Keine Verbindung zur Realität, Hoffnungslosigkeit, Unfähigkeit zur Konzentration und Organisation. Das zeigt: Wir müssen unsere natürlichen Kompetenzen und Fähigkeiten lernen, trainieren und ständig ausbilden, um in einer Welt der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz selbstbestimmt und gesund zu bleiben.

Je jünger, umso schlechter die mentale Verfassung

Der neue Mental State of the World Report von Sapien Labs hat in der öffentlichen Diskussion und auch in den Medien erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gefunden. Erstaunlich deswegen, weil die Erkenntnisse und Ergebnisse höchst relevant und zum Teil erschreckend und bedrohlich sind. Und das gilt sowohl für die Arbeitswelt und unsere Jobs als auch für unser privates Leben im Zeitalter von künstlicher Intelligenz. Der Report und die damit zusammenhängenden Studien erkennen einen sehr schädlichen Einfluss von Smartphone-Nutzung auf besonders die jüngeren Generationen und der Report konstatiert eine „zunehmend sozial diskonnektierte Kultur“, wie auch den schädlichen Einfluss von chemischen Substanzen auf Menschen und unsere kognitive Fähigkeit.

Laut des Reports ist die durchschnittliche mentale Gesundheit der Menschen weltweit bei 63 von 200 Punkten. Das bedeutet, dass die Menschen mit ihren kognitiven Fähigkeiten und in ihrer Selbstständigkeit gerade einmal in der Lage sind, ihren Alltag halbwegs zu managen. Das heißt, die allermeisten Menschen schlagen sich einfach so durchs Leben, so gut wie sie können oder eben so schlecht wie sie können. Bei einer Punktzahl von 100 bis 150 sind Menschen in der Lage, voranzukommen, und bei einem Mental-Health-Quotienten von 150 bis 200 sind Menschen in der Lage, etwas zu schaffen und auch schöpferisch in ihrem Leben zu sein. Davon sind die Menschen durchschnittlich sehr weit entfernt. Blickt man auf unterschiedliche Länder und unterschiedliche Weltgegenden, dann geht die Schere hier sehr weit auseinander.

Besonders auffällig und bedrohlich ist auch, dass es seit längerer Zeit einen ununterbrochenen Trend gibt, dass die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden mit jeder jüngeren Generation konstant abnehmen. Das bedeutet also, dass es den jüngeren und nachfolgenden Generationen eben mental und auch körperlich deutlich schlechter geht als den älteren Generationen. Das Versprechen und auch der Wille der Erwachsenen und der älteren Generationen war und ist doch aber genau das Gegenteil. Den Jüngeren soll es mal besser gehen. Doch genau das passiert nicht. Es geht ihnen deutlich schlechter. Und dieser Trend verstärkt sich auch noch immer weiter.

Smartphones, Social Media und KI - Keinen Bezug mehr zur Realität...

Der Blick auf die ältere Generation von 55 Jahren und darüber hinaus zeigt ein anderes Bild: Die Menschen in höherem Alter sind viel besser in der Lage, ihr Leben zu meistern und selbst zu steuern, und ihre mentale Gesundheit und ihr Wohlbefinden sind deutlich höher als bei den Jüngeren. Die Generation 55-plus liegt im weltweiten Durchschnitt bei einem Mental-Health-Quotienten von 101. Weltweit betrachtet sind es vor allen Dingen Länder in Lateinamerika, in Asien und auch in Afrika, in denen die ältere Generation mental am besten aufgestellt ist. Deutschland gehört in diesem Vergleich zur Schlussgruppe der schlechtesten 10 Prozent der Länder (Mental Health Quotient 90 oder weniger), zusammen mit beispielsweise Belgien, Russland, Großbritannien und der Ukraine.

Erschreckend und bedrohlich ist der Vergleich der älteren Generation mit der jüngeren Generation: Bei den jungen Menschen liegt der Mental-Health-Quotient bei gerade einmal 38. Das sind mehr als 60 Punkte weniger als in der Generation 55 plus! Das bedeutet, dass die jüngeren Generationen mental nicht in der Lage sind, ihr eigenes Leben in die eigenen Hände zu nehmen und selber zu gestalten. Sie fühlen sich ausgeliefert und ertragen das Leben sozusagen. Von Selbstvertrauen und Gestaltungswillen ist hier kaum eine Spur zu finden.

Diese Ergebnisse sind ein außergewöhnlicher Bruch mit den Mustern der vergangenen Generationen und Jahrzehnte. Bisher war es das normale Bild, dass Menschen in der Mitte ihrer Lebensphase Schwierigkeiten mit ihrer mentalen Gesundheit und ihrem Wohlbefinden hatten. Eine sogenannte Kurve, bei der die höchsten Level von Wohlbefinden und mentaler Gesundheit in der jungen Generation und in der älteren Generation zu finden waren, während die mittlere Generation mit den Unwägbarkeiten und Härten des Lebens öfter mal überfordert war. Das ist jetzt aber vorbei. Die junge Generation startet voller Selbstzweifel, Unselbständigkeit und voller Ängste in das Leben und auch in ihre berufliche Laufbahn.

Der Report nennt vor allen Dingen drei Gründe und drei Treiber für diese Entwicklung: die Nutzung von Smartphones, ultra-prozessierte Lebensmittel und Umweltgifte. Alle drei Punkte sind höchst interessant. Doch will ich hier lediglich den ersten Punkt zitieren. Grund: Hier geht es um Routinen und Verhaltensweisen, bei denen wir es selbst in der Hand haben, wie wir damit umgehen (während das bei der Ernährung und Umweltgiften schwieriger ist oder gar nicht in unseren Händen liegt).

Der Report schreibt: „Smartphones. Der Einzug von Smartphones in unser Leben fällt mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem die psychische Gesundheit der jüngeren Generationen abnimmt, und es wurde viel über die Auswirkungen von Smartphones und sozialen Medien auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen diskutiert und debattiert18–23. Bei der Generation Z, der ersten Generation, die mit Smartphones aufgewachsen ist, hat sich gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Erwachsene Probleme haben, umso größer ist, je jünger sie ihr erstes Smartphone erwerben. Diese Probleme reichen von Traurigkeit und Angst bis hin zu weniger diskutierten Symptomen wie einem Gefühl der Realitätsferne, Selbstmordgedanken und Aggression gegenüber anderen. In diesem Zusammenhang stört der Besitz von Smartphones in der Kindheit und Jugend den Schlaf, erhöht das Risiko, schädlichen Online-Inhalten wie Cybermobbing, Belästigung und explizitem Material ausgesetzt zu sein, und stört die Entwicklung sozialer Kognition, die die Interpretation von Gesichtsausdrücken, Körpersprache und Gruppendynamik erfordert.“

Die junge Generation verliert den Halt

Ein Blick auf die Details zeichnet ein klares Bild der Probleme, mit denen alle Menschen in der Digitalisierung zu kämpfen haben, vor allen Dingen aber die jüngeren Generationen. Angst und Unsicherheit, obsessive und ungewollte Gedanken und Vermeidungsstrategien stehen ganz oben auf der Liste der funktionalen Probleme. Genauso aber auch das Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit und das Gefühl, von der Realität abgeschnitten zu sein. Diese Ergebnisse decken sich mit den Erkenntnissen aus anderen Studien nach denen ein unkritischer und vor allen Dingen auch grenzenloser Gebrauch von Smartphones, Social Media und anderen digitalen Tools und Techniken und Plattformen negative Effekte auf die mentale Gesundheit von Menschen hat. Gleiches gilt auch für das hier genannte Gefühl, von der Realität entkoppelt zu sein. Wer sich nur in digitalen Welten bewegt, der ist im wahrsten Sinne des Wortes abgeschirmt von der realen Welt und verliert die Verbindung zur Realität, zu anderen Menschen, zur Umwelt, zur Natur, zum Leben.

Neben diesen Einstellungen und Gefühlszuständen nimmt der Report aber auch ganz konkrete funktionelle Probleme, die vor allen Dingen bei jungen Menschen signifikant sind. So sind sie kaum in der Lage, zu planen und zu organisieren. Es gibt signifikante Sprachprobleme. Und die Fähigkeit zum Fokussieren und zur Konzentration ist ebenfalls stark eingeschränkt, genauso wie die Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kooperation. Zudem haben junge Menschen große Probleme mit ihrem Selbstbild und ihrer emotionalen Resilienz und emotionalen Kontrolle.

Wir haben es hier mit schwerwiegenden Problemen und riesigen Herausforderungen zu tun, die erst noch in der Gesellschaft und genauso in Unternehmen und Organisationen ankommen werden. Sind wir darauf überhaupt vorbereitet? Reden wir überhaupt offen und transparent genug darüber?